RSV4 RF vs. S1000RR vs. 1299S vs. R1 RN32 (2015)

  • Aprilia RSV4 RF vs. BMW S1000RR vs. Ducati Panigale 1299S vs. Yamaha R1 RN32 (2015)

    Guten Tag,

    tl;dr Version dieses Tests oder wenn das Motorrad eine Frau wäre:
    Aprilia RSV4 RF: Das Mädchen von nebenan in das du schon im Sandkasten verliebt warst.
    BMW S1000RR: Die hübsche Sekretärin in mausgrauem Rock und Brille auf der Arbeit.
    Ducati Panigale 1299S: Rassige Schönheit die dir beim Sex den Rücken blutig kratzt und dich in deine Schranken weist.
    Yamaha R1: Kocht dir jeden Abend pünktlich das Abendessen und macht keine Sperenzchen.

    Da ich nun eure geballte Aufmerksamkeit habe kommen wir nun zum ausführlichen Testbericht.
    Dieser ist in gewisser Weise immer subjektiv geprägt und spiegelt meine Meinung zu diesen vier Maschinen wieder.
    Alle Motorräder habe ich in insgesamt zwei Tagen (30. und 31. August) getestet und die Bewertung von Motor, Getriebe, Bremse und Fahrwerk fand auf ein und derselben Hausstrecke statt.
    Auf eine Diskussion mit euch freue ich mich!

    Fangen wir der Reihe nach an.

    Ducati Panigale 1299S - dominante Diva

    Das erste Zweirad aus diesem Quartett war die Ducati Panigale 1299S. Klein und rot steht dieses Geschoss auf dem langen Seitenständer vor mir. Welch ein Anblick! Widerwillig widersetzt sich der Motor erfolgreich den um Gnade flehenden Anlasser getrieben durch den immer stärker werdenden Druck meines Daumens auf den Taster. Doch der Anlasser gewinnt den Kampf nach mehr Umdrehungen, als ich es von meinen japanischen Reihenvierern gewohnt bin. Schon beim ersten Anlassen und dem darauffolgenden warmlaufen wird einem die Kraft des Superquadro getauften und in dieser Version 1285cm³ fassenden Motors als alles andere übertönend bewusst, ist der Zweizylinder doch mit 108dBA bei 5250 U/min homologiert. Das bollert ordentlich.

    Nun schwinge ich mich elegant - es klappt nicht und ich bleibe am lächerlich kleinen aber hohen Soziasitz hängen - auf das Motorrad und versuche mich auf diesem kleinen Arbeitsplatz für die nächsten Stunden zurecht zu finden. Die hydraulische Kupplung ist schwergängiger als ich dachte, doch ist der Druckpunkt sehr präzise. Satt und mit Nachdruck will der erste Gang eingelegt werden.

    Dann zweizylinder ich mit wenig Gas los und ziehe schon die Blicke auf mich. Menschen drehen sich nach diesem durch und durch roten und lauten Ungetüm um. Ältere Damen am Straßenrand erheben erbost ihren zur Faust geballten Arm wegen des Lärms was ganz im Gegensatz zu den sommerlich leicht gekleideten Mädels steht, die sich nach dem Renner aus Borgo Panigale umdrehen und mit einem dreckigen Grinsen auf die Unterlippe beißen. Ja, solche Szenen erlebt man auf dieser Maschine.

    Nun wärme ich meine Reifen, es sind Pirelli Diablo Supercorsa SP, immer mehr an. Beim heranrollen an die letzte Ampeln vor dem gleich durch brachiale Antriebskraft einsetzenden Adrenalinrausch ziehe ich ein erstes Resümee: Der Taster für den Blinker ist durch seine hohe Bauform schwer zu betätigen. Der Leerlauf findet sich nicht immer auf Anhieb, ich schalte öfters zwischen dem ersten und zweiten Gang hin und her. Die rechte Fußraste ist sehr klein; im Stadtverkehr und mit abstehenden Ohren ist es ein leichtes die Hinterradbremse aus Versehen zu betätigen. In den Spiegeln konnte ich nur die abgewetzte Schrift auf den Ärmeln abwärts des Ellenbogens meiner Jacke sehen. Die Sitzposition ist schon jetzt sehr vorderradorientiert, sehr sportlich. Der schöne, aber kleine Bildschirm der Pani ist auf Grund seiner im Gegensatz zur später getesteten R1 mehr angewinkelten Position bei Sonneneinstrahlung nicht abzulesen.

    Die Ampel schaltet auf grün um.

    Ich lege meine Ohren an und starte durch. Das brachiale Drehmoment katapultiert mich mit bis dahin ungekannter Härte nach vorne. Ich zweifle an keiner Nachkommastelle der angegebenen 144 Nm (bei 8750 U/min.). Bröööp. Ich lasse es donnern.

    Nun schalte ich mit regulärem Schaltschema einen Gang nach oben und sehe eine Kolonne von drei Autos in zirka 300 Metern vor mir. Ein kleiner Gasgriff katapultiert mich augenblicklich an den Hintermann, einen roten E36 3er. Der hoch- und runterschaltende Schaltassistent lässt mich jeden Gangwechsel spüren, geht seiner Arbeit pünktlich und ordentlich nach. Die gefühlte Durchzugskraft ist enorm. Die noch auf größter Stufe stehende Motorbremse auch. Nachdem ich mir einen Überblick von dem nicht vorhandenen Gegenverkehr geschaffen habe, leite ich den Überschallflug zum Überholen ein. Im ersten Gang. Das mit dem Blinker lassen wir mal, ist nicht drin den auf die schnelle zu betätigen. Die drei Autos werden in Nullkommanichts stehen gelassen. Es geht sogar so schnell, dass ich mit dem Schalten nicht nachkomme und bei 155km/h im zweiten Gang in den Begrenzer renne. Beide Endtöpfe spucken. Heftig.

    Allerdings fühlen sich beim wiederholten ausdrehen des Motors die 205PS bei 10500 U/min. nicht so stark an. Klar, es geht vehement voran. Aber ab dem Drehmomentmaximum fühlt sich der Motor, wenn man ihn in diesem Umfeld der 200PS Motorräder betrachtet, etwas zugeschnürt an.

    Ich nähere mich meiner Hausstrecke. Die letzte Ortschaft trennen mich davon. Vor dem Ortsschild bin ich viel zu schnell und erlebe eine Überraschung. Die Bremse der 1299S hat einen ultra-hyper-knackigen Druckpunkt. Und wie sich noch im späteren herumtrödeln auf der Straße herausstellt ist das mögliche Bremsen, die maximale Verzögerung, nur davon abhängig, wie sehr ich am Hebel ziehe. Je mehr ich ziehe, den Bremsdruck moduliere, desto mehr Bremse ich. Es ist nicht ein schlichtes Bremsen und es tut sich was. Es ist als hätte man immer eine Betonwand parat welche man kurzerhand vor sich aufstellt um gleich darauf reinzuknallen.
    Eins vorweg: Die Duc wird im Bereich Bremse diesen meinen persönlichen Test gewinnen, haushoch. Die Kombination aus Handbremspumpe, ABS-Steuergerät (wenn auch ABS abgeschaltet), Stahlflexschläuchen, Bremsbelägen und Bremsscheiben sucht bei Bremssystemen ab Werk seinesgleichen. Hut ab vor so einer bissigen Abstimmung. Referenz!

    Ab Ortsausgang schalte ich auf Feuer und ziele auf die erste Linkskurve, zirka 75° links.
    Die Bremse funktioniert wieder wunderbar und ich lege mich mit vollem Elan in die Kurve. Die Panigeili [sic!] möchte entschlossen in die Kurve gedrückt werden. Halbherzige Aktionen bestraft sie mit unruhigem Fahrverhalten. Die 1299S bleibt in jeder Situation ein hartes Motorrad, ist jedoch im direkten Vergleich zu der 1199S dank des el. Fahrwerks von Öhlins doch weicher. Und eine Ducati ist endlich mit nicht rutschenden Fußrasten versehen.
    Bodenwellen sind in jeder Einstellung der Fahrwerks spürbar. Oftmals bringt das Motorrad als Rückmeldung eine Unruhe mit sich, die wiederum auf den Fahrer übergreift, sodass der Ducatisti öfters vom Gas geht. Es mangelt dem Motorrad bei vollem Druck an Geradeausstabilität.

    Weiter geht es in den Wald hinein in ein Gefälle größer 10° und eine Rechtskurve. Diese langgezogene Kurve lässt die gute Abstimmung des ride-by-wire Gasgriffs erkennen. Zwar hat die Ducati in Kurvenmitte bei erneuten öffnen des Gasgriffs eine starke Initialzündung, doch ist das Motorrad von da an gut über den Griff zu steuern. Wenn nur nicht die Schlenker im Fahrwerk drin wären.

    Kilometer später drehe ich in der nächsten Ortschaft angekommen um und fahre die Strecke in die andere Richtung ab, ehe ich den Rückweg zum Händler antrete.

    Normalerweise nutzt man jetzt die Hacke seines linken Stiefels um den Seitenständer auszuklappen. Ich bin aber zu wirr und steige von dem Motorrad ab um den Ständer so in Position bringen zu können und die rote Bestie abzustellen. Anders kriege ich es im Moment nicht hin.

    Eigentlich sollte ich jetzt im Detail anfangen zu schwafeln wie hochwertig die Verarbeitung der Duc wirkt oder was für tolle Komponenten an dieser Maschine verbaut wurden. Passt hier aber nicht hin. Ich werde im letzten Teil die kalte Technik mit ihren Details walten lassen, aber nicht hier und nicht jetzt.

    Der Ritt auf der Kanonenkugel hinterlässt eine zwiegespaltenen Eindruck bei mir. Ein Erlebnis ist dieses Motorrad allemal. Ein brutales, böses, ungezähmtes Erlebnis das ich nicht missen will. Aber doch sehr kompromisslos und ohne ausreichende Alltagsqualitäten.

    Der zukünftige Eigner dieser roten Diva sollte über mehrere, nicht unwichtige Punkte im klaren sein. Manch böse Zungen behaupten, dass sich der Rahmen verbiegen, flexen, würde. Der Rahmen, oder wie man dieses alles-ist-unter-einem-verbunden-und-trägt-mich nennen soll, ist meines Erachtens so hart, dass die Familienplanung bis zum dauerhaften Verkehr mit diesem Zweirad abgeschlossen werden sollte. Als ob das nicht genügen würde verfehlt der stehende Zylinder seine Funktion als Eierkocher keineswegs. Und beim kräftigen Bremsen findet man wenig halt, wird nur von den Händen an den Stummellenkern zurückgehalten - oder eben nicht.

    Für wen ist dieses Motorrad: Den erfahrenen Fahrer mit sportlicher Figur der gerne fahrerisch gefordert wird. Diese Maschine ist auch nach drei Saisons noch nicht langweilig.

    -Ende Teil 1 von 5-

    Gruß Mathias

    Hasse das Spiel, nicht den Spieler.
    '03 CBR900RR Projekt, '78 CB250T, '81 CB400N (x3), '81 CB650C, '88 XL350R, '95 CBR600F3 Renn Projekt
    '72 DS7, '16 RSV4 RF dolce vita con Euro3, '17 R9T Urban G/S, '19 CRF1000L Africa Twin

  • Addendum


    Sieht auch im Stand schnell aus.


    Fußrastlein. Zu klein!


    108dBA. Puh.

    Gruß Mathias

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  • Mozo - welch ein Gedicht :schleimer: freue mich auf Teil 2 bis 5 :clap:

    Ob man dem Ralf Steinert Deinen fertigen Erguss mal präsentieren sollte  =)

    Somit nehme ich an Platz #4 geht an die Duc..!?

    Grüße aus Nürnberg   :yeh:

    Stefan #85

  • Nett geschrieben. Nur wie ist es möglich dass dieser Kracheimer bei den db-Werten eine Zulassung erhält? Die ist lauter als meine 28er mit offener Renntüte!

    Suche Verkleidungsteile für die schwarz/rote 93er SC28!

  • Guten Tag,

    Yamaha R1 - Japanisches Rundum-sorglos-Paket

    Eigentlich bin ich die R1 nur Probe gefahren, da mir ein Freund zu diesem Motorrad geraten hat. Die Abneigung gegen die glubschäugigen Scheinwerfer und die in mehreren Foren bereits berichteten hässlichen Schweißnähte an Rahmen, Schwinge und Kühler haben mich davon abgehalten.

    Also tippel ich geschunden von der Panigale zum Yamaha-Händler und hole mir das nächste Geschoss.

    Vor dem Motorrad stehend fallen die Scheinwerfer nicht störend auf, wie man es von den Pressefotos vermutet. Die Schweißnähte an meinem Testmotorrad sind kein Picasso, aber auch nicht weiter störend.
    Was jedoch bei der RN32, so der Modellcode, auffällt, ist die schlechte Wahl der Farbkombinationen. Die silbrig schimmernde Farbe des Motors wirkt billig, wie aus dem Modellbausatz. Unverständlicherweise haben der Rahmen, der Hilfsrahmen und die Schwinge drei unterschiedliche Schwarztöne. Kann man so machen, aber wirkt nicht stimmig.

    Einmal aufgesetzt ist das Aussehen vergessen. Hier ist der absolute Pluspunkt der Yamaha. Die Bedienelemente wie Blinker, Lichthupe, Auswahlrad an der rechten Armatur sowie Modusschalter an der linken Armatur sind bestens angebracht. Die Yamaha hat von den Maschinen mit komplett digitalen Anzeigen den besten Bildschirm, dessen Menü nicht nur gut durchdacht und strukturiert wirkt, sondern auch bei starker Sonneneinstrahlung gut ablesbar ist.

    Der Motor springt nach kurzem betätigen des Anlassers an. Von den vier getesteten Motorrädern klingt die heißer röchelnde Yamaha durchgehend am leisesten (subjektiv!) und wird am spätesten laut. Angegeben ist die Yamsel mit 99dBA bei 6750 U/min.

    Schon nach den ersten 100 Metern fühle ich mich so wohl - abgesehen von der Beine-breit-Sitzposition - und sicher auf diesem Motorrad, dass ich die Fahrassistenzsysteme per Modusschalter fast komplett abstelle.
    Später erkenne ich den Sinn dieser Sitzposition, da ich mich sehr leicht und schnell auf der Sitzbank bewegen kann, ohne dabei den Kontakt zum Tank zu verlieren.

    Nun geht es Richtung Hausstrecke. Die Maschine ist mit den gleichen Reifen wie die Duc besohlt, Pirelli Diablo Supercorsa SP. Die Yamaha zieht trotz ihrer Frontmaske und dem luftigen Heck deutlich weniger Blicke auf sich. Mir soll es Recht sein, ich bin hier um zu fahren und sehe eine Rennmaschine nicht als Schwanzverlängerung.

    Angekommen an der letzten Ampel vor dem ersten Geschwindigkeitsrausch mit der R1 ziehe ich mein Fazit: Die beste Bedienbarkeit und den besten Bildschirm. Hier gewinnt die R1. Die Gänge lassen sich gut und zielsicher schalten. Die breite Sitzposition will mir im Stadtverkehr nicht gefallen. Der Gasgriff und der Motor fühlen sich bis 7000 U/min. digital an, als ob man an einem Potentiometer die Lautstärke einstellen würde. Der Motor mit seiner seidenweichen Laufruhe ist toll.

    Die Ampel schaltet auf grün.

    Im ersten Gang und einer schnell freigegebenen Kupplung geht die Yamaha mit Leichtigkeit hoch. Das übe ich nochmal. Wieder mit beiden Gummis am Boden der Tatsachen angekommen beschleunige ich auf die erste Kurve, 75° links, zu. Das Anbremsen und abwinkeln für eine gute Kurvenlage geht leicht von der Hand. Ich merke gar nicht, dass hier kein elektronisch unterstütztes, sondern ein konventionelles Fahrwerk von Kayaba werkelt und es fehlt mir auch nicht. Alles i.O.

    Allerdings will das erneute Gas geben nicht so gut gelingen. Es gibt wenig Rückmeldung vom Gasgriff, auch der Punkt ab dem das Motorrad wieder schiebt findet sich nicht.
    Vielleicht ist dieser auch von der aktuellen Schräglage abhängig?
    Da wünscht man sich die alten Ereinsen mit einer Vergaserbatterie aus Flachschiebern und Beschleunigerpumpe zurück. Solche hatten einen schönen, harten Gaszug.

    Auch bei den kommenden engen und weiten Kurven im Wald macht die R1 abgesehen von der schwammigen Gasannahme einen hervorragenden Eindruck. Das Chassis ist sehr gut. Alles ist harmonisch, was sich auf den Fahrer überträgt, der deshalb saubere Linien fährt.
    Und ich wollte dieses Motorrad gar nicht Probe fahren.

    An der Ampel zum Teilstück stehend, an welchem ich die Geschwindigkeit der Motorräder teste, sehe ich im Spiegel den Karl Dall unter den Motorrädern anrollen. Es ist eine S1000RR vor Modelljahr 2015, einfach an der Maske zu erkennen. Ich habe ein breites grinsen unter meinem schwarzen Visier als er den Motor zweimal kurz aufheulen lässt. Ich bin dabei.
    Nach der Linkskurve der T-Kreuzung geben wir beide Vollgas. Anfangs ist die BMW dank ihres stärkeren Motors vorne. Er scheint also auch das jetzt kommende Stück mit leichten Kurven zu kennen. Ich bin dabei. Bei Drehzahl angekommen nehme ich der BMW Meter um Meter ab, wobei die R1 bei hohen Drehzahlen bis in den dritten Gang zum Powerwheelie neigt. Macht aber nichts. Auch hier zeigt sich die hervorragende Stabilität der R1, die wie ein Brett auf der Straße liegt. Man bleibt immer voll am Gas. Durch jeden Schaltvorgang, der beim hochschalten mittels Schaltassistenz schnell und problemfrei funktioniert erfahre ich mir einen Vorteil und kann die BMW überholen.
    Gerade bei hoher Geschwindigkeit und dicht hinter der Verkleidung versteckt fährt sich die Yamaha wie ein Traum. Dabei vergesse ich sogar die breitbeinige Sitzposition auf der geraden Sitzbank.

    Als ich vom vierten in den fünften Gang schalten möchte, drehe ich mich zur BMW um. Die Maschine und deren Fahrer sind nicht an der erwarteten Position dicht neben mir, sondern haben beide schon davor aufgegeben und massiv Geschwindigkeit abgebaut. Trotzdem beschleunige ich auf das Tempo hoch, bei dem Autos meist abgeregelt werden, um nun die Bremse zu testen.
    Beim anbremsen in die 70er Zone schalte ich konventionell, also mit Kupplung und normalem Schaltschema, herunter. Dabei röchelt und faucht die Yamaha garstig. Klingt wunderbar. Die Bremse ist hierbei nichts außergewöhnliches, lässt sich bei kurzem Hebelweg gut dosieren und hält die Kraft der Geschwindigkeit im Griff. Obschon die momentane Anzeige der Bremse bei kurzem Blick auf den Bildschirm im zweistelligen Bereich fein ziseliert hoch und runter wandert, empfinde ich die Maschine als nicht stärker bremsend verglichen zu meiner SC50 (die allerdings nie so eine tolle Straßenlage bei hartem bremsen hat und gerne das Hinterrad hebt). Das nicht abschaltbare ABS regelt spät und kurz, die R1 wirkt nie unruhig.

    Auf dem Rückweg zum Händler bummele ich noch ein paar Seitenstraßen zusätzlich ab und will mich nicht von dem Motorrad trennen. Ich ertappe mich wie ich immer mehr auf den wirklich hervorragenden und schnell arbeitenden Bildschirm glotze. Wie toll doch die Schräglage angezeigt wird! Schade dass dafür während der Fahrt keine Zeit bleibt. Angekommen steige ich von der Yamaha herunter, bin überrascht wie viel entspannter die Fahrt im Gegensatz zur Duc war und gehe mehrmals um das Motorrad herum. Jetzt stört mich das anfangs bemängelte Aussehen auch nicht mehr.

    Nach der Fahrt bin ich froh doch auf meinen Kumpel gehört zu haben.

    Für wen ist dieses Motorrad: Den Neuling unter den 1000cm³ Supersport-Fahrern, denn die Assistenzsysteme helfen dank ihrer hervorragenden Abstimmung enorm. Oder sogar als erstes Motorrad nach dem Führerschein, wenn man unbedingt eine 1000er Rennmaschine haben will.
    Dabei schafft die Yamaha den Spagat, auch alten Hasen auf ihren Hausstrecken Spaß zu machen und kann auf der Rennstrecke mit richtiger Abstimmung ein heißes Eisen sein.

    -Ende Teil 2 von 5-

    Stefan: Ich stelle die Tests in der Reihenfolge rein in der ich die Maschinen gefahren bin. Hat nichts mit einer Bewertung zu tun.

    Gruß Mathias

    Hasse das Spiel, nicht den Spieler.
    '03 CBR900RR Projekt, '78 CB250T, '81 CB400N (x3), '81 CB650C, '88 XL350R, '95 CBR600F3 Renn Projekt
    '72 DS7, '16 RSV4 RF dolce vita con Euro3, '17 R9T Urban G/S, '19 CRF1000L Africa Twin

  • Matthias wie kommst du dazu,gleich vier der neuen SSP-Generation zu testen? Machst du das beruflich oder hobbymäßig?
    Deine Texte lesen sich wie von einem Motorjornalisten :) ..echt top :daumen_rauf:

    Gruß

    Ruhe in Frieden MatzeRR


  • Seitenansicht mit den drei unterschiedlichen Schwarztönen.


    Finde die Glubschaugen.


    99 dBA. Und kein bisschen leise.

    wie kommst du dazu,gleich vier der neuen SSP-Generation zu testen? Machst du das beruflich oder hobbymäßig?

    Zum Händler gehen und Probefahrt anmelden. Fährst du nicht alle in Frage kommenden Maschinen Probe um dich zu entscheiden?

    Gruß Mathias

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  • Guten Tag,

    BMW S1000RR - Langstreckenrakete

    Am kommenden Tag waren die nächsten zwei Motorräder an der Reihe.
    Ich bin noch immer schwer von der R1 beeindruckt. Kommt doch die leicht zu fahrende Yamaha ins Haus? Abwarten.

    In der BMW Niederlassung angekommen scheint sich keiner so Recht für mich und meinen Termin zur Probefahrt zu interessieren. Dabei hatte ich nach den Strapazen vom gestrigen Tag frisch geduscht. An mir kann es nicht liegen.

    Nachdem die S1000RR vorgefahren wurde erhielt ich eine Unterweisung seitens des Verkäufers in die Fahrmodi und dass ich mir für die Probefahrt Zeit lassen könnte.

    Die S1000RR ist sowohl mit dem Race- (SA-Nr. 228 ) als auch mit dem Dynamic-Paket (SA-Nr. 235) ausgestattet. Das Race-Paket beinhaltet das DTC (Traktionskontrolle), zwei zusätzliche Fahrmodi Slick und User, den Begrenzer für die Boxengasse sowie den Tempomat. Das Dynamic-Paket bietet das DDC, die Dynamic Damping Control, den Schaltassistent Pro, Heizgriffe (es ist und bleibt eine BMW) sowie LED-Blinker von Kellermann.
    Mir wurde vom Verkäufer gesagt, dass fast keine S Baujahr 2015 ohne diese Pakete verkauft wird.

    Bei dem ersten Aufsitzen auf das Motorrad merke ich, wie sich ohne Zündkontakt absolut gar nichts im Fahrwerk tut. Hart wie Beton. Sobald die Zündung aktiviert und der Motor an ist, fängt das in Italien produzierte Sachs-Fahrwerk zu arbeiten an. Sofort merke ich, dass dies die größte Maschine ist, auf welcher ich in diesem Test sitzen werde. Die bequemste 1000er ist die BMW allemal.

    Auf geht es mit der mit Bridgestone S20 Evo bereiften Rakete in Richtung Hausstrecke.
    Bei der letzten Ampel vor dem ersten Vollgas gehe ich meine Liste im Kopf durch. Die Bedienbarkeit der Taster ist gelungen, der analoge Drehzahlmesser mit elektronischem Anhang sehr gut ablesbar, die Heizgriffe keinen Deut dicker als normale Gummis, in den Spiegeln sieht man den zurückliegenden Verkehr, die Sitzposition ist vorderradorientiert ohne dabei zu verkrampfen.

    Die Ampel schaltet auf grün.

    Zündung. Anders kann ich es nicht schreiben.

    Machen wir uns nichts vor. Wer bis zu diesem Teil des Tests durchgehalten hat, der will wissen, ob die BMW wirklich so einen tollen Motor hat und ob der Schaltassi seiner Arbeit nachgeht. Ja und ja.
    Stärkster Motor. Punkt. Gutes Getriebe. Punkt. Bester Schaltassistent. Punkt.

    Der Motor ist eine Wucht. So brutal wie dieser Motor ist kein anderer frei-saugender Vierzylinder in einem Motorrad. Es liegt ständig mehr als genügend Leistung und Drehmoment an. Er besitzt dabei aber auch eine ungeheure Drehfreude. So schnell wie der ist kein Liter im Begrenzer. Dabei wird ein Feuerwerk gezündet, welches bis zum Schluss nicht nachlässt. Nie fühlt sich der Vierzylinder träge, langsam oder müde an. Das kennt er nicht. Ab 7000 U/min. kommt das Vorderrad mehr oder weniger bis in den vierten Gang hoch, sofern die Traktionskontrolle stark zurückgenommen und der richtige Modus gewählt wird. Kleine Wheelies aus eigener Kraft im vierten Gang, ohne dies provoziert zu haben! Der Motor wirkt bis 14400 U/min. lebendig und kraftvoll. Drehmoment ist in der Mitte für den Durchzug beim Überholen überraschend viel vorhanden. Ständig liegt Kraft an.
    Aber der Motor läuft nicht so weich wie der Vierzylinder von Yamaha, was sich auch darin äußert, dass die Stummellenker unangenehm vibrieren. So unangenehm, dass meine Hände taub werden. Geht gar nicht.

    Halt, nur ein gutes Getriebe, kein bestes? Ja, denn obwohl das Getriebe sehr präzise zu schalten ist, benötigt der Fahrer hier die meiste Kraft. Das Getriebe hat auch eine Sicherheit beim Schalten ohne Kupplung eingebaut: Wenn der Gasgriff nicht komplett geschlossen ist, kann der nächstkleinere Gang nicht eingelegt werden. Und wenn kein Gas gegeben wird, dann kann der Fahrer noch so hart auf den Schalthebel eintreten. Es tut sich nichts. Dadurch wird das Getriebe vor falscher Benutzung geschützt. Ein Nachteil ergibt sich daraus, dass am Kupplungshebel bei zu sachtem Gangwechsel ein Schlag zu spüren ist. Also immer mit Nachdruck schalten. Das automatische Zwischengas ist hervorragend und gibt beim Hoch- und Runterschalten einen gut klingenden Knall mit, welcher gleich den mit Direktschaltgetriebe versehenen Autos gleichen Hauses ist. Sehr angenehmes Brabbeln, verdreht nicht nur im Tunnel die Köpfe der Mitmenschen. Es ist der beste Schaltassistent im Test. Butterweich und ohne einen Schlag kommen die Gänge rein, einer nach dem anderen. Die Drehzahl spielt hierbei keine Rolle.

    Die Bremse wirkt ähnlich der einer R1. Ist nicht unterdimensioniert, aber eben auch nicht bissig. Unauffälig, eher schon langweilig ist die Bremse. Ja, in der Kante ist sie anzusiedeln. Dabei ist der Hebelweg länger als bei der R1 und der Druckpunkt schlechter, wirkt teigig. Meilenweit von der Ducati entfernt.

    Vom elektronischen Fahrwerk bekomme ich in keiner Kurve etwas mit, außer dass es seiner Arbeit erfolgreich still und leise nachgeht. Kompression, Bodenwelle, Abheben: All das wird erfolgreich glattgebügelt. Komplett kann man das DDC nicht abstellen, nur in maximal 14 Stufen regulieren.

    Die Maschine lässt sich gut steuern, nur kann ich mich selber nicht so leicht Positionieren wie auf den anderen Maschinen dieses Tests. Hier ist die für einen Supersportler bequeme Sitzposition schuld. Aber sei es drum, wirklich schlecht steuerbar oder gar behäbig ist die BMW keinesfalls! Nur eben nicht so präzise.

    Die Heizgriffe werden schnell warm verlängern die Saison erfolgreich. Ein Traum bei Regen.
    Der Tempomat ist sicher zu bedienen und hilft auch die linke Hand vom Lenker zu nehmen und zu entspannen. Außerdem ist es mächtig steil langsame Passagen freihändig zu fahren.

    Wie bei der Yamaha verleiten die Anzeigen zu Schräglage und Verzögerung zum starren ein. Gerade beim Warmfahren des Reifens blieb ich lange darauf hängen und wollte immer ein Grad mehr herausholen. Das soll nicht zu einer Angewohnheit werden, da man dadurch den Verkehr außer Augen lässt!

    Der Rahmen der BMW S1000RR wird sehr heiß, sodass man nach getaner Fahrt möglichst nur mit den Lederhandschuhen und nicht mit der eigenen Haut dran kommen sollte.

    Insgesamt wirkt die RR penibelst korrekt, lupenrein, der Traum eines Ingenieurs. Ist im Labor von den Ideen vieler Spezialisten geschaffen und dann bis in die letzte Faser von anderen Spezialisten durchdesignt.
    Dass ich das mal schreiben werde hätte ich nie gedacht, aber dieses Motorrad wirkt in manchen Situationen dadurch langweilig, wenn es eben nicht an die Grenze getrieben wird.

    Als ich wieder in der Niederlassung angekommen bin, werde ich schon sehnsüchtig erwartet. Ein anderer Fahrer sei schon zur Probefahrt da, es müsste schnell schnell gehen. Was mir denn an dem Motorrad gefiele? Was ich schlecht fände? Kurz gebe ich einen Rapport ab.
    Als ich nach dem Preis frage und verhandeln möchte - schließlich ist es das angenehmste Zweirad für die Landstraße - wird mir gesagt, dass da nichts geht. Würden sich zu gut verkaufen, Angebot kleiner Nachfrage. Daraufhin verabschiede ich mich von dem Herrn Verkäufer und erhalte zum Abschied den Gruß, dass doch alle wieder zurückkommen würden, denn die BMW gewinnt immer. Hmm.

    Für wen ist dieses Motorrad: Als bequemste der hier getesteten 1000er für den ambitionierten Tourenfahrer, der es gerne sehr sportlich mag. Die Sitzposition ist gut und die Bedienbarkeit stimmt. Die BMW ist sowohl für Leistungsfanatiker, die gerne Hochgeschwindigkeit erleben wollen als auch für Heizer, die gerne auf dem Hinterrad aus der Kurve feuern. Somit spricht die BMW das größte Publikum an. Nur Neulingen würde ich wegen der brachialen Leistung abraten.

    -Ende Teil 3 von 5-

    Gruß Mathias

    Hasse das Spiel, nicht den Spieler.
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  • Guten Tag,

    Aprilia RSV4 RF – Verschmähtes Sahnestück

    Nun ist die letzte der aktuellen 200PS Maschinen an dran.
    Beim durchforsten des immer spärlicher werdenden Händlernetzes und der oftmals harscher Kritik durch leidgeplagte Kunden in Foren ahne ich Böses für meine anstehende Probefahrt.

    Was soll ich mit so einem Motorrad dass seine besten Tage damit verbringt, kaputt in der Ecke einer Garage oder auf Ersatzteile wartend beim Händler zu versauern? Das geht mir durch den Kopf.

    Beim Händler angekommen werde ich von einem Mechaniker freundlich begrüßt. Es läuft auch noch der Chef an mir vorbei und wünscht mir viel Spaß mit dem Renner aus Noale.
    Hektik ist hier ein Fremdwort, auf meine vielen Fragen vor und nach der Fahrt wird bestmöglich eingegangen. Ein Pluspunkt, da ich dieses außerordentlich kleine Motorradlein in Papageien-Lackierung mit italienischer Flagge vor mir stehen sehe. Da soll ein knapp ein Liter großer Motor drin sein?

    Der Anlassertaster, an der gleichen Armatur von Domino seit der RSV1000, wird betätigt und der V4 gönnt sich einige Umdrehungen, ehe er losdonnert. Die Aprilia ist zwar beim Waschen eingegangen und die kleinste Maschine im Test, der man ja kein Leid zufügen möchte. Doch bei der Lautstärke, der Dezibelkreativität, schlägt nur die Duc diesen kleinen Renner. Homologiert auf 102 dBA bei 6500 U/min. Wie schaffen es die Italiener diese Tröten zugelassen zu bekommen? Ältere Modelle der RSV4 durften sogar noch lauter!

    Ich steige auf die Maschine auf und bin überrascht, wie gut die Sitzposition auf diesem Motorrad doch ist, abgesehen von der hohen Fußraste, was sich negativ auf den Winkel meines Beines auswirkt.
    Insgesamt erinnern der Klang des Motors und die Sitzposition sehr stark an die R1 RN32.
    Der Fahrer der R1 sitzt breitbeiniger da, hat aber weniger Druck auf den Fußknochen.
    Eine Kombination aus dem Besten beider Sitzpositionen, das wäre prima.

    Um es kurz zu machen: Nach den ersten 1000 Metern wusste ich, dass ich mich für dieses Motorrad entscheiden werde. Es macht viele Dinge falsch und wenig richtig, aber diese dann so gut, dass ich trotz aller Zweifel an die Haltbarkeit kein Nein! sagen kann.

    Aber wieder zum Anfang. Auf die Maschine aufgesessen und erstmal erschrocken, wie miserabel der Leerlauf bei kaltem Motor ist. Klingt auch sehr mechanisch, aber nicht im positiven Sinn. Das ganze Chassis vibriert ungedämpft mit, kleine Schläge pulsieren in den Stummellenkern.

    Ich lasse die Kupplung kommen und drehe eine scharfe 90° Linkskurve, um auf die Straße zu gelangen. Schon hier erkenne ich, dass das schwerste Motorrad im Test sich am leichtfüßigsten anfühlt. Auch bei kleiner Geschwindigkeit. Nach den ersten fünfzig Metern komme ich erneut zum stehen. Da der Händler anders als alle anderen liegt, fahre ich die Haus- und mittlerweile Teststrecke von Norden und nicht von Süden an. Darum geht es zuerst durch kleine Dörfer. Da ich der einzige bin, der auf der Straße ist, fahre ich die Pirelli Diablo Supercorsa SP großzügig über beide Spuren der Straße warm und mache einige harte Bremsungen. Es ist wirklich erstaunlich, was hochwertige Komponenten wie die Federelemente auch ohne elektronische Ansteuerung anrichten können. Dabei gibt einem dieser in Stein gemeißelte Rahmen ungeheure Rückmeldung und schafft zusammen mit der guten Sitzposition ein riesen Vertrauen.
    Die Bremsen sind gut dosierbar und verzögern sehr gut, haben aber auch nicht den Biss des Systems der Panigale. Trotzdem ein guter Platz zwei.

    Da ein Bekannter eine Scheune diesseits der Hausstrecke gemietet hat, denke ich, dass ich mich auskennen würde, und ziehe auf einem abschüssigen Stück voll auf. Erst kommt der Powerwheelie, dann eine große Bodenwelle, und ab geht das Vorderrad in die Luft. Weit höher als es mir lieb ist.
    Groß aufgerissene Augen unter dem schwarzen Visier. Und die Regelsysteme bringen mich so weich und sicher auf die Straße zurück, dass Linus von den Peanuts seine flauschige Kuscheldecke gegen eine RSV4 eintauschen möchte. Die Regelgüte der Systeme, die mir da aus der Patsche geholfen hat, ist enorm.
    Ich lasse einen Freudenschrei unter dem Helm los - wie blöd, als ob das etwas bringt - und schwinge mich von Kurve zu Kurve. Das Vertrauen in die Maschine wächst mit jedem Meter, ich fühle mich voll in das System Aprilia RSV4 RF integriert.
    Das Einlenken in Kurven geschieht lächerlich einfach. Selbst mein Favorit in diesem Metier, die Triumph Dayton 675R, kann das nicht besser. Eher schlechter.
    Einmal umgelegt hält die Aprilia sagenhaft ihren Kurs. Oft kann ich die Linie noch enger wählen und die Maschine macht das gerne mit. So etwas habe ich noch nie erlebt.
    Wie auf der Yamaha dank der guten Sitzposition kann ich sehr schnell und einfach ohne viel Kraftaufwand meine Position auf dem Motorrad verändern, zum Beispiel bei einem Stück Linkskurve - kurzes geradeaus - Rechtskurve.

    Der nur nach oben schaltende Schaltassistent ist der schlechteste aller vier Maschinen. Er hat die größte Unterbrechungszeit zwischen den Gangwechseln und es gibt jeden Wechsel aufs Neue einen harten Schlag, den man sofort im Chassis spürt.

    Am Ende der Ortschaft biege ich rechts ab und wende mich somit vorerst nicht des Hochgeschwindigkeitstests zu. Ich möchte die Aprilia an gleicher Stelle fotografieren, an der ich auch die CB1100 EX abgelichtet habe. Dort angekommen frage ich eine mir entgegenkommende Radfahrerin, ob sie mir mit dem mitgebrachten Edding eine Linie auf das goldgelbe Rohr da unten malen kann. Sie schaut mich mit einem fragenden Blick an. Ich glaube sie denkt, ich bin komplett bescheuert. Ich erkläre ihr, dass ich damit dann messen kann, wie viel die Maschine einfedert, wenn ich Dickerchen drauf sitze. Damit könne man dann die Vorspannung einstellen. Sie lacht, stimmt zu und ich genieße den Anblick als sie mit ausgstreckter Zunge versucht, einen geraden Strich unter die Dichtung am oberen Gabelrohr zu ziehen. Toller Einblick, ich meine Ausblick, ich meine wirklich toll, dass sie mir da aushilft.
    Danach gibt sie mir den Filzstift zurück und fragt, was es für eine Ducati sei. Sie habe es an der italienischen Kriegsbemalung erkannt. Ich erkläre ihr dass es eine Aprilia ist - sie hat nie von der Marke gehört. Danach verabschiedet sie sich von mir und fährt weiter.
    Ich erhöhe die Federvorspannung nach bestem Wissen und Gewissen, wische das Gekrakel ab und mache mich auf den Weg zu den dreistelligen Stundenkilometern.

    An der roten Ampel angekommen, die an der T-Kreuzung, stehe ich alleine da. Weit und breit kein Auto das vorbeifahren will, kein anderes Motorrad zum ärgern oder geärgert werden. Ich rolle bei grüner Ampel gefühlvoll an, denn die Kupplung hat einen guten Druckpunkt, und lasse es erstmal langsam angehen. Bei 50 Km/h schalte ich in den zweiten Gang und ziehe dann konsequent voll auf. Die auf niedrigster Stufe agierenden APRC Sensoren und Steuergeräte halten mich hervorragend auf Kurs. Nur das Gas muss ich etwas drosseln, um nicht ausschließlich den wolkenlosen Himmel anzuschauen, auch wenn dieser schön blau ist.
    Der Schaltassistent kracht jeden weiteren der noch vier ausstehenden Gänge mit dem Holzhammer rein. Grauenhaft.

    Der Motor fühlt sich von den vier Maschinen am schwächsten an. Unter den Vierzylindern dreht er am langsamsten hoch. Warmgefahren gewinnt er an Manieren und lässt die Lenker nicht mehr vibrieren. Jedoch kommt er in Kurven, in denen die Drehzahl unter 3000 U/min. fällt, wie ein Traktor daher - egal ob warm oder kalt. Trotzdem wirken sich die dann einsetzenden leichten Vibrationen nicht auf das Fahrverhalten aus. Das Chassis und Fahrwerk machen dies wett.

    Mit etwas mehr als doppeltem Landstraßentempo rausche ich auf die 70er Zone zu, Bremse hart. Die Maschine bleibt ruhig und fährt sich wie auf dem Teppich. Sagenhaft.

    Ich drehe um und rolle langsam in Richtung Händler zurück. Eigentlich will ich gar nicht mehr von diesem Motorrad herunter. Die Aprilia hat sich direkt in mein Herz gefahren. Aber der Händler hat eine Kopie meines echten Personalausweises und es führt kein Weg daran vorbei.

    Die Mängelliste:
    Der Blinkertaster und die Lichthupe sind nicht gut zu bedienen, die Rückspiegel könnten besser sein und das Modul von Anlasser und Not-Aus lockerte sich während der Fahrt.

    Der analoge Drehzahlmesser mit digitalem Tacho ist bei Sonneneinstrahlung sehr gut abzulesen. Aber sowohl Geschwindigkeit als auch Ganganzeige sind nacheilend. Vor allem die Ganganzeige zeigt den aktuellen Gang verzögert an, nachdem das Zahnradpaar schon einige Runden gedreht hat.

    Vieles kann an der Aprilia besser gemacht werden.

    Und trotzdem sage ich: Da können sich Bologna, Hamamatsu und Spandau warm anziehen. Und das bei diesen Temperaturen.

    Für wen ist dieses Motorrad: Rennstreckenfahrer, Zeitenjäger und Heizer auf Supersportlern. Dabei bin ich von der Ergonomie abseits des für mich schlechten Winkels am Fuß begeistert und sage auch, dass die Kleine für Touren geeignet ist.
    Dabei sollte man immer einen Mechaniker dabei oder selber Kenntnis von der Materie haben.

    -Ende Teil 4 von 5-

    Bilder von der BMW und der Aprilia kommen heute Abend.

    Gruß Mathias

    Hasse das Spiel, nicht den Spieler.
    '03 CBR900RR Projekt, '78 CB250T, '81 CB400N (x3), '81 CB650C, '88 XL350R, '95 CBR600F3 Renn Projekt
    '72 DS7, '16 RSV4 RF dolce vita con Euro3, '17 R9T Urban G/S, '19 CRF1000L Africa Twin

  • Guten Tag,

    BMW S1000RR 2015


    Neben der BMW stehend merkt man die Größe der Maschine.


    Bester Schaltautomat im Test.


    99 dBA bei 6750 U/min. Wirkt trotzdem lauter als die R1.


    Aprilia RSV4 RF


    Von jedem Blickwinkel ein schönes Motorrad.


    102 dBA bei 6500 U/min. Zweitlauteste Maschine im Test.

    Gruß Mathias

    Hasse das Spiel, nicht den Spieler.
    '03 CBR900RR Projekt, '78 CB250T, '81 CB400N (x3), '81 CB650C, '88 XL350R, '95 CBR600F3 Renn Projekt
    '72 DS7, '16 RSV4 RF dolce vita con Euro3, '17 R9T Urban G/S, '19 CRF1000L Africa Twin

  • Toller, witzig geschriebener Test :)

    Nimmst du auch noch eine Blade SP zur Probefahrt. Das wär doch interessant ;)

  • Toller, witzig geschriebener Test :)

    Nimmst du auch noch eine Blade SP zur Probefahrt. Das wär doch interessant ;)

    Er will doch gleichwertiges Material testen. (-:
    ;)

    mozo89
    Tolle Berichte. Die S1RR ist wirklich groß. Die SC59 war da deutlich handlicher für einen Gartenzwerg wie mich.

    Gruß
    G.A.C.O.

    "Der schnellste Inder westlich des Ganges" ;)

  • Mozo - Hut ab für Deinen Witz, Charme und Deine Begeisterung am Schreiben und Testen!!!

    Hoffentlich triffst Du für Dich die richtige Entscheidung damit wir 2016 zusammen fahren können.
    Nachdem es ja ein Supersportler ist, ist für Dich die Teilnahme an den Racedays von uns Pflicht :P

    Grüße aus Nürnberg   :yeh:

    Stefan #85

  • Guten Tag,

    Nimmst du auch noch eine Blade SP zur Probefahrt.

    Nein. Der Test ging um die aktuellen 200PS Maschinen.

    Danke für die freundlichen Nachrichten und Kommentare!
    Da ich die Texte mit meinem Mobiltelefon abgetippt habe, sind ab und an heftige Fehler enthalten. Einfach drüberlesen.

    Den fünften Teil, der sich mit der Technik befasst, hoffe ich diese Woche fertig zu bekommen.

    Gruß Mathias

    Hasse das Spiel, nicht den Spieler.
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